Darum geht’s
Ihr fragt euch vielleicht, wozu das Fach Deutsch? – Kann ich doch!
Wir wollen aber, dass ihr mehr als eure Muttersprache beherrscht. Dazu gehört es, Texte zu verstehen und Wesentliches daraus entnehmen zu können. Ihr lernt, wie man ansprechend und kreativ Referate erstellt. Alle anderen Fächer profitieren davon. In Klasse 8 erwartet euch ein Zeitungsprojekt mit der MOZ, in Klasse 10 ein Rhetorikseminar als Vorbereitung auf die Sekundarstufe II. Natürlich steht das Lesen von Literatur ganz weit oben. Es warten interessante Kurzgeschichten, Erzählungen und Jugendbücher auf euch, z.B. „Der Junge im gestreiften Pyjama“, „Die Wolke“ oder „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, aber auch Klassiker wie „Kabale und Liebe“ oder „Faust I“. Dazu gibt es spannende und kreative Ideen, sich den Lesestoffen zu nähern, z. B. schlüpfen wir in verschiedene Figuren, spielen Szenen nach, erstellen Plakate oder Collagen. Das „Theater im Klassenzimmer“ kommt jedes Jahr zu uns, auch das Marionettentheater ist seit drei Jahren fester Bestandteil des Deutschunterrichtes. Individuelle Theaterbesuche der einzelnen Klassen sind meist Highlights des Schuljahres. Die Teilnahme am bundesweiten Vorlesewettbewerb der 6. Klassen hat bei uns lange Tradition. Die 5. Klasse wird beim Schulentscheid bereits mit einbezogen und lernt den Ablauf kennen. Immer eine spannende Sache. Für Klasse 5-7 findet im Dezember ein Vorlesetag statt, den der 10. oder 11. Jahrgang organisiert und die Vorleser stellt. In angenehmer Atmoshäre wird dann einem spannenden, lustigen oder auch emotionalen Buch gelauscht.
Es wartet also viel Abwechslung auf euch! Wir sehen uns 🙂
Buchkritik
Buchkritik/Rezension zum „Marmorbild“ von Joseph von Eichendorff
Was „Fridays for Future“, Instagram und die Verführung der Antike mit dem romantischen Werk gemein haben – Fragen über Fragen.
Die Novelle „Das Marmorbild“ des Romantikers Joseph von Eichendorff wurde 1819 veröffentlicht und handelt von dem jungen Florio, der sich während seiner Reise zwischen Realität und Fiktion verliert.
-> Was bewirken Liebe und Verführung bei einem jungen, naiven Mann – wie Florio?
Der junge Dichter Florio begegnet auf der Reise nach Lucca Fortunato und Donati, die die erlösende und die dämonische Kraft der Poesie symbolisieren. Gleichzeitig trifft er die schüchterne und keusche Bianka, die er am gleichen Abend küsst. In seinem Zimmer in der Herberge in der Stadt lassen ihn seine Gedanken nicht los,weshalb er in die Nacht hinausspaziert. Dabei entdeckt er an einem geheimnisvollen Weiher ein Marmorbild, das in ihm eine unbestimmte Sehnsucht weckt. Auf der Suche nach der Sehnsuchtserfüllung vergisst er Bianka und vermag nicht länger, die Grenzen zwischen Traum und Realität zu erkennen. Auf einem Maskenball erkennt er ein Doppelbild, da die Venus in Gestalt der Bianka auftritt. Die Verwirrung erreicht ihren Höhepunkt im Tempel der Venus. Aus der dämonischen Verführung rettet Florio nur das christliche Lied von Fortunato, welches dieser in der Ferne gesungen hat. Florio erkennt nun seine Bestimmung – durch die Erlösung Fortunatos und seine wahre Liebe Bianka.
-> Wie überzeugend sind die inhaltliche und sprachliche Umsetzung des Werkes?
Eichendorffs Werk prägen romantische Elemente, wie Liebe, Natur, Sehnsucht und Fantasie sowie Gegensätze zwischen Gut und Böse, Fantasie und Realität sowie Liebe und Verführung. Der christliche Glaube an Gott symbolisiert die Erlösung aus der heidnischen Verlockung. Die fleischgewordene Venus verkörpert das Heidentum und die keusche Bianka die christliche Reinheit. Fortunato stellt das „Gute“ dar, im Gegensatz zu seinem Gegenspieler Donati, der Florio zur Sünde verführen will.
Besonders überzeugend gelungen ist die Darstellung des teilweisen Abdriftens in die Traumwelt. An einigen Stellen wird dadurch eine Irritation bei den Lesern hervorgerufen, da unklar ist, ob Realität oder Fantasie beschrieben werden. Dadurch erhöht Eichendorff die Spannung seiner Novelle.
Inhaltlich gestört hat allerdings, dass das Verhalten und die Handlungsweisen der Charaktere oft vorhersehbar waren und kaum variierten. Beispielsweise bemerkt man gleich zu Beginn, dass Fortunato weise ist und ein loyaler Freund für Florio, was sich bis zum Ende bestätigt. Dies vermindert den Überraschungseffekt an einigen Stellen. Einzig der Protagonist Florio durchläuft eine Entwicklung, diese ist dafür umso farbenprächtiger gestaltet.
-> Kann man Eichendorffs Werk auch heute noch als aktuell bezeichnen?
Bezüglich der Aktualität von Eichendorffs romantischer Erzählung gibt es kontroverse Ansichten.
Für den Aspekt der Aktualität spricht, dass in unserer schnelllebigen Gegenwart die Frage nach der eigenen Identität oder der Verlust derselben eine tragende Rolle spielen. So bietet beispielsweise die Figur eines verwirrten, identitätssuchenden Jugendlichen eine Identifikationsmöglichkeit für viele junge Menschen, die aktuell mit der gleichen Aufgabe konfrontiert sind. Die Identitätskrise Florios kann man mit vielen Jugendlichen vergleichen, welche heutzutage in die Traumwelt der Online-Welt zwischen TikTok, Instagram und YouTube abtauchen und dort ihre (Schein-)Identität aufbauen. Auch streben heute viele junge Menschen nach postmateriellen Dingen (z.B. Freiheit) und nicht nach purer Produktivität, was Florio ebenfalls widerspiegelt.
Ein weiterer Beweis für einen Gegenwartsbezug des „Marmorbildes“ ist die Tatsache, dass manche romantischen Motive nahezu zeitlos wirken. So wurde in der Epoche der Romantik beispielsweise die Natur und dieBeziehung der Menschen zu dieser als hochromantisch betrachtet. Und auch heute gewinnt dieser Aspekt wieder an Bedeutung, da viele Menschen Wert auf einen achtsamen Umgang und ein Leben im Einklang mit der Natur legen, was man u.a. an Klimaschutzprojekten sehen kann, nicht zuletzt bei „Fridays for future“.
Andere literarische Motive des 19.Jh.s, wie der Müßiggang und die Wanderschaft, werden zwar heutzutage immer noch praktiziert, jedoch mit dem Begriff der „Romantik“ kaum noch in Verbindung gebracht.
Ferner herrschen in der Novelle zeitgenössische Ansichten zum Leben, der Menschheit usw., die sich im Laufe der Zeit immens gewandelt haben, z.B. die Verbindung zu Gott und der Kirche. Aus diesem Grund empfiehlt sich eine kritisch-reflektierte Lesart.
-> Für welche LeserInnen ist die Lektüre des „Marmorbildes“ zu empfehlen?
Zusammenfassend ist das „Marmorbild“ für viele Lesergruppen empfehlenswert, wenn auch mit einigen Einschränkungen. So sollten sich potenzielle LeserInnen möglichst für die Traum-Realitäts-Thematik interessieren, da diese einen Hauptschwerpunkt des Werkes bildet. Für alle geschichtsinteressierten Personen ist „Das Marmorbild“ außerdem die ideale Gelegenheit, mehr über die Lebensweisen und Ansichten der Menschen in der Romantik herauszufinden. Ebenso sind der Wandel Florios und dessen (teilweise) Identitätsdiffusion aus psychologischer Sicht faszinierend.
Jedoch lässt sich vom Lesen des „Marmorbildes“ abraten, wenn man nicht an der vorherrschenden Fantasie-Thematik interessiert ist oder sich eine eindeutige Erklärung für die Geschehnisse wünscht, da das Werk sehr viel Interpretationsspielraum bietet. Auch für jüngere Altersgruppen ist „Das Marmorbild“ nur bedingt zu empfehlen, da durch die zeitgenössische Sprache das Textverständnis teilweise sehr anspruchsvoll sein kann.
Viel Spaß – oder besser viel Fantasie – beim Lesen wünschen das Tutorium 12/1 und Patricia M.